Instant messaging, Videochat, soziale Netzwerke: Nie zuvor gab es – von technischer Seite her – so viele Möglichkeiten, soziale Beziehungen einzugehen, aufrechtzuerhalten oder weiter zu entwickeln. Wie diese „schnellen Medien“ das Zugehörigkeitsgefühl zwischen Familien und/oder ideologisch verbundenen Gruppen ausgestalten, prägen oder verändern, haben Ass.-Prof. Dr. Silvia Schultermandl, Institut für Amerikanistik der Uni Graz, und May Friedman, PhD, Ryerson University Toronto, in einem neuen Sammelband zum Thema gemacht. WissenschafterInnen aus Österreich, den USA, Kanada, China und Indien haben dazu ihre Perspektiven eingebracht.
Schultermandl beschreibt vier Kategorien, in denen die ForscherInnen die Rolle der Neuen Medien untersucht haben: „Zunächst gibt es Situationen, in denen soziale Beziehungen, die es vorher nicht gab, durch erst den Einsatz von quick media entstehen. Etwa, wenn Eltern oder Familienangehörige von Kindern mit besonderen Bedürfnissen sich in Foren austauschen und gegenseitig unterstützen.“ Als zweite Kategorie nennt die Wissenschafterin online Plattformen, die identitätsstiftend wirken – etwa die „Mummy Blogs“, auf denen frischgebackene Mütter über ihre neue Rolle schreiben. Als dritte Kategorie beschreibt Schultermandl jene Situationen, in denen reale Beziehungen zwischen Personen, die weit entfernt voneinander leben, über quick media gestärkt werden – beispielsweise wenn Eltern sich mit ihren Kindern per Skype vernetzen und so am Familienleben teilnehmen. Hier können die technischen Möglichkeiten auch dazu führen, dass soziale Verbindungen großteils oder gar ausschließlich über soziale Medien laufen, etwa in einer partnerschaftlichen Fernbeziehung. Als vierte Kategorie führt Schultermandl die so genannte „Digitale Diaspora“ an und meint damit Personen, die über die Neuen Medien erst greifbar werden, etwa in einer online community, deren Mitglieder sich durch geteilte ideologische Überzeugungen oder durch soziopolitische Gemeinsamkeiten definieren. „Ein Beispiel, das im Sammelband untersucht wird, ist der Austausch von Iranerinnen, die in den USA wohnen und ihr Leben dort untereinander diskutieren und mit AmerikanerInnen teilen.“
Silvia Schultermandl und May Friedman resümieren, dass aufgrund der Alltäglichkeit von Neuen Medien einerseits der Begriff von Familie und sozialer Zugehörigkeit neu gedacht werden muss, weil diese heute viel weiter gesteckt werden: „Wir kommunizieren längst über nationale Grenzen hinweg, aber auch über die Grenzen von den im Alltag gelebten Gemeinschaften hinaus.“ Außerdem ist es den Forscherinnen wichtig zu unterstreichen, dass die oftmals wegen ihres Potenzials zur Selbstdarstellung heftig kritisierten sozialen Netzwerke auch viele positive Aspekte aufweisen: „Die Alternative zur Virtualisierung der Gesellschaft wäre, die Kommunikation auf gewissen Ebenen schleifen zu lassen oder ganz abzubrechen. Zudem kann diese Art der Informationsübermittlung auch Teil einer wichtigen Form des Aktionismus sein, wie die Postings mit dem Hashtag #blacklivesmatter beweisen“, erklärt Schultermandl. „Wer das Phänomen Neue Medien ausschließlich kritisiert, ist sich dessen ganzer Bandbreite nicht bewusst“, formuliert die Wissenschafterin.
Publikation: Silvia Schultermandl and May Friedman (Hg.), “Click and Kin: Transnational Identity and Quick Media”, University of Toronto Press, 2016.